[studierende.aub] - 17. Dez 2024, 12:00
Adventskalender (17): Skurrile Buchkunst in mittelalterlichen Handschriften
Gleichgültige Mordopfer, Orgel-spielende Hasen, Situationskomik, ein 80's Metal-Albumcover, niederträchtige Einhörner, Ritter, die im Garten gegen hartnäckiges "Ungeziefer" kämpfen, Abbildungen von proportional fragwürdigen Tieren aller Art (die Eltern sich dennoch an den Kühlschrank hängen würden) - Ja, richtig, wir befinden uns hier in mittelalterlichen Codices.
Neben der sorgfältigen und aufwendigen Gestaltung kostbarer Prachthandschriften, die mit ihren floral geschmückten Initialien und detailreichen, golden leuchtenden Miniaturen die hohe Kunstfertigkeit ihrer Zeit widerspiegeln, umfasst das Mittelalter ein recht breites Spektrum an Buchmalerei - und so findet sich zwischen kunstvollen, farbigen Illustrationen und eher spontan anmutenden, skizzenhaften Marginalien auch so manche Skurrilität, deren Komik sich jedoch nicht zwangsläufig daraus generiert, wie, sondern auch was gemalt, bzw. gezeichnet wurde.
Doch tun wir den mittelalterlichen Picassos Unrecht, wenn wir uns über die ein oder andere Darstellung amüsieren? Vermutlich nicht (immer), - denn wie wir durch Monty Python wissen - auch die Menschen im Mittelalter hatten Sinn für Humor ;) (öffentliche Hinrichtungen außer Acht gelassen....)
Randmalereien dienten u.a. dazu, den schriftlichen Inhalt der Handschriften darzustellen oder zu ergänzen, konnten aber ebenso textunabhängig die Kreativität ihrer Schöpfer zum Ausdruck bringen, die sich auch gerne mal humoristischer/ satirirscher Bildsprache bedienten. Hierunter fällt auch die bereits benannte Auseinandersetzung zwischen Rittern und Schnecken, die in Handschriften des 13./14. Jhd. durchaus recht verbreitet war. Nun waren Ritter damals nicht ungewöhnlich klein und Schnecken weder groß noch besonders angriffslustig (was Salatköpfe eventuell anders beurteilen würden...), - doch das etwas überraschende Duell war - wie die meisten Motive mittelalterlicher Buchkunst - symbolisch aufgeladen. So wurde die Schnecke der literarischen Tradition folgend als Personifikation der Feigheit zum überlegenen Gegner des zu verspottenden Ritters (der so neben seiner Gemüseernte auch seine Ehre verlor).
Feige Schnecken, eitle Affen, keusche Elefanten, teuflische Fliegen - Tiersymbolik spielte in der mittelalterlichen Buchkunst eine wichtige Rolle. Der Physiologus, ein antikes Werk aus dem 2. Jhd., in welchem Pflanzen und Tieren eine z.T. moralische und religiöse Deutung zugeschrieben wird, wurde im Mittelalter vielfach rezipiert und in den sog. Bestiarien aufgegriffen und erweitert. Hier entdeckt man zwischen Ameise und Pelikan auch Fabelwesen (wie Drache, Einhorn, kostenloser Nahverkehr, etc..). Doch auch das ein oder andere real existierende Tier wirkt in seiner künstlerischen Umsetzung durchaus fabulös, - das lag u.a. daran, dass zur damaligen Zeit Sonntag Nachmittag kein Terra X in Dauerschleife lief - die Maler hatten viele Tiere selbst noch nie gesehen und konnten sich nur an Erzählungen und schriftlichen Aufzeichnungen orientieren (- was wohl nicht immer so glückte wie bei Dürer.)
Ob gewollt oder ungewollt komisch - die Bilderwelten des Mittelalters haben auf jeden Fall Unterhaltungswert. Kein Wunder also, dass sie auch Einzug in die heutige Meme-Kultur gehalten haben. Die Niederländische Nationalbibliothek (KB = Koninklijke Bibliotheek) greift dieses Phänomen auf, um wieder mehr Begeisterung für den eigenen Altbestand zu schaffen. Über die Website www.medievalmemes.org hat man die Möglichkeit, aus verschiedenen Bildern der digitalisierten Handschriften für eigene Meme-Kreationen auszuwählen. Doch das eigentlich coole dabei ist - die Website bietet zudem interessante Informationen zu Alter und Kontext der jeweiligen Abbildungen. So lernt man ganz nebenbei noch etwas über die reichhaltige Erzählwelt des Mittelalters. - Bildungsauftrag erfüllt ;)
Die Ergebnisse können dann über verschiedene Soziale Medien geteilt werden, wie z.B. Instagram (siehe oben).
Aus reinem Wissensdurst wollte ich die Seite natürlich ebenfalls erproben (siehe unten) ;)
Die Mittelalterliche Buchkunst ist in ihrer Gestaltung und Umsetzung spannend und vielseitig. Einige Handschriften beeindrucken allein durch ihre Schönheit, andere wecken durch Besonderheiten unser Interesse, und wieder andere entlocken uns ein Lächeln (wie auf dem Bild oben links ^^). Alle bringen uns auf unterschiedliche Art und Weise die damalige Zeit, ihre Kulturen, Narrative und Symbolik näher. Daher, - macht euch gerne ebenfalls auf die Suche nach neuem Wissen UND neuen Memes (...zuuuum Beispiel in der digitalen Sammlung der BSB) ;)
https://www.bsb-muenchen.de/handschriftenzentrum/digitales-angebot/
Schöne und fröhliche Feiertage :)
RM
Literatur:
Lilian M. C. Randall. (1962). The Snail in Gothic Marginal Warfare. Speculum, 37(3), 358–67.
Lexikon des Mittelalters. Verlag J.B. Metzler, Vol. 8, cols 785-86.
Lilian M. C. Randall. (1962). The Snail in Gothic Marginal Warfare. Speculum, 37(3), 358–67.
Lexikon des Mittelalters. Verlag J.B. Metzler, Vol. 8, cols 785-86.