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Alle Wege führen nach Sulzbach
...zumindest, wenn man sich mit der Geschichte des bayerischen Druckwesens beschäftigt.
Am Montag, den 30.06.2025, machten sich die Studierenden des Wahlmoduls Historische Bestände (Kurs 2022/25) gemeinsam mit Dr. Bernhard Lübbers auf den Weg nach Sulzbach-Rosenberg – Ziel einer eindrucksvollen Exkursion auf den Spuren des historischen Buchdrucks.
Vor Ort wurden wir vom Sulzbacher Stadtheimatpfleger Dr. Markus Lommer durch die faszinierende Geschichte des lokalen Druckwesens geführt – eine Reise voller überraschender Eindrücke, mit denen wohl niemand gerechnet hatte. Eindrücke, wie man sie so nur in Sulzbach erleben kann.

Ein Highlight war der Besuch der historischen Druckerei Seidel, die heute als Kleinkunstbühne für große Kunst dient, wo zahlreiche Alte Drucke und Verlagsstatistiken lagern. Besonders spannend waren die vielen Kalender aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Damals wurden sie in unterschiedlichsten Varianten verkauft: für Geschäftsleute, Landwirte, Soldaten – sogar ein "Lotto-Kalender" für Glücksspielbegeisterte war dabei. Diese Kalender enthielten nicht nur Feiertage, sondern auch überraschende Informationen wie Bahntarife für Mastschweine, Erklärungen zu neuen Verkehrsschildern, Portokosten nach Uruguay, genealogische Tabellen des Adels, aktuelle Titelträger – und sogar Erste-Hilfe-Tipps für spritzende Wunden. Besonders wertvoll sind jene Kalender, die noch handschriftliche Notizen früherer Besitzer enthalten. Als Alltagsquellen bieten sie einzigartige Einblicke in das Leben der „einfachen Leute“. Die Sammlung beeindruckt vor allem durch ihre Vielfalt und ihren Umfang – ein Schatz, wie ihn nicht einmal die Bayerische Staatsbibliothek vorweisen kann!
Ein weiteres bedeutendes Stück ist Wilhelm Buschs frühe Bildergeschichte "Der Kuchenteig", eine Vorstudie zu "Max und Moritz", die nie gedruckt wurde. Umso bemerkenswerter, da Busch seine Entwürfe in der Regel vernichtete. Ebenso beeindruckend ist die erhaltene Sammlung historischer Lettern – darunter auch barocke Exemplare, die nicht einmal im Gutenberg-Museum in Mainz zu finden sind. Sie überstanden sowohl Kriege als auch die Zeit des Nationalsozialismus und machen Sulzbach zu einem wahren Schatzkästchen der Druckkunst.





Nach einer kleinen Pause mit Kaffee und Tee – spendiert vom Förderkreis Historische Druckerei Seidel e.V. und serviert im idyllischen Minerva-Innenhof – ging es weiter in die „Schatzkammer“. Dort bestaunten wir historische Bestände aus dem 19. Jahrhundert, Büsten und Totenmasken bedeutender Persönlichkeiten. Genauso beeindruckend: die original erhaltene Wohnung der Familie Seidel im oberen Stockwerk, ein faszinierender Ort voller kurioser Objekte aus vergangenen Zeiten.




Frisch gestärkt durch ein gemeinsames Mittagessen in der griechischen Taverne „Korfu“ besuchten wir anschließend das Sulzbacher Schloss. In der Ausstellung "55 Jahre Seidel im Schloss" wurde die Druckgeschichte Sulzbachs lebendig. Unter anderem waren Drucke von Georg Stuchs und Abraham Lichtenthaler aus der privaten Sammlung von Dr. Lommer zu sehen.
Auch das Schloss selbst erzählt Geschichte: Johann Esaias von Seidel erwarb es 1807, um dort seinen Verlag und seine Druckerei unterzubringen. Nach einem Stadtbrand gewährte er obdachlosen Familien im Schloss Unterkunft – und ließ sogar einem jüdischen Drucker kostenlos die Nutzung seiner Maschinen und Materialien zu. Den krönenden Abschluss bildete der Blick über die historische Altstadt Sulzbachs.



Nach einer kurzen Eis-Pause ging es zur ehemaligen Synagoge der Stadt, heute eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte. Mit einem Augenzwinkern wurde bemerkt: „Alle Juden kennen Sulzbach – aber keiner weiß, wo es liegt“.
Im 18. und 19. Jahrhundert lebte hier eine lebendige jüdische Gemeinde. In der nahegelegenen Stadt Amberg befindet sich noch heute eine Torarolle aus dem Jahr 1792 (1793), die einst der jüdischen Gemeinde Sulzbachs gehörte – vermutlich die älteste erhaltene Torarolle Deutschlands. Die Sulzbacher Juden betrieben eine der weltweit bedeutendsten hebräischen Druckereien, berühmt für ihre herausragende Qualität. Auf der früheren Frauenempore der Synagoge dokumentiert eine Ausstellung diese reiche jüdische Drucktradition. Kein Wunder also, dass ein "Sulzbacher" (also ein in Sulzbach gedrucktes Gebetsbuch) als Geschenk zur Bar Mizwa weltweit verbreitet waren. Sogar ein Talmud wurde hier gedruckt – ein aufwendiges und kostspieliges Unterfangen, das nur wenigen Druckereien möglich war und die Bedeutung Sulzbachs eindrucksvoll unterstreicht.



Tief beeindruckt von der Vielfalt und dem kulturellen Wert dieser nahezu unbekannten Sammlung zur konfessionsübergreifenden Druckgeschichte Sulzbachs – und damit auch eines bedeutenden Kapitels deutscher Druckgeschichte – sowie dankbar für die engagierte Führung, traten wir am späten Nachmittag die Rückreise nach München an.
-Wahlmodul Historische Bestände (Kurs 2022/25)