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Adventskalender (23): Book curses
Wenn die Ketten nicht genügen
Der neue Kodex ist fertig. Es hat nur neunzehn (19) Jahre gedauert und hat Bruder Berthold das Licht in seinen Augen, seinen geraden Rücken und um einiges mehr gekostet. Kilometerweise Pergamen, mehrere Eimer Tinte, Hingabe, Eifer. Es ist wahrlich ein Meisterwerk geworden. Die Zeit ist gekommen um es endlich in die Klosterbibliothek aufzustellen und die Bestände dadurch um 5% erhöhen.
Aber nein! Die Kette ist aus! Die Heiden sind schuld daran, sie sollten erst letzte Woche gezüchtigt werden, da haben die anderen die ganze restliche Kette verbraucht.
Was nun?
Bruder Berthold, der gutmütige junge Schreiber, muss sich etwas ausdenken, sonst besteht die Gefahr, dass jemand seine Literatur entwendet!
Und so entstanden die Bücherflüche.
Wie praktisch!
Bücher waren im Mittelalter wichtige und teure Gegenstände, deren Anfertigung Jahre in Anspruch nehmen konnte. Diejenigen, die sie besaßen, wollten sicherstellen, dass sie gut aufgehoben waren. Allerdings waren die Sicherheitsmöglichkeiten begrenzt, und es konnte sehr einfach sein, ein Buch aus der Bibliothek eines Klosters zu stehlen. Mittelalterliche Schreiber hatten eine Form der Schutzmaßnahme, die wir heute nicht mehr so oft verwenden – Flüche.
Sie zögerten nicht, die schlimmsten Strafen anzuwenden, die sie kannten – die Exkommunikation von der Kirche und einen schrecklichen, schmerzhaften Tod. Stiehlt man ein Buch, könnte man von einem Dämonenschwert gespalten werden, gezwungen werden, seine Hände zu opfern, die Augen ausgestochen bekommen oder im „Feuer der Hölle und Schwefel“ enden.
Am Ende einer Bibel, die um das Jahr 1172 geschrieben wurde, fügte der Schreiber diese Aussage hinzu:
Wenn jemand dieses Buch wegnimmt, möge er den Tod sterben; möge er in einer Pfanne frittiert werden; möge ihn die fallende Krankheit und das Fieber packen; möge er auf dem Rad zerschlagen und gehängt werden. Amen.
Ein noch schlimmerer Fluch wurde von der Prämonstratenserabtei St. Maria und St. Nikolaus in Arnstein ausgesprochen. Die sogenannte Arnstein-Bibel (Harley MS 2798), wie von Marc Drogin (Anathema! Medieval Scribes and the History of Book Curses) vermerkt, verdammte einen Buchdiebe zu einem blutigen Tod durch Folter, Krankheit und Hinrichtung:
Ein Buch der [Abtei von] SS. Maria und Nikolaus von Arnstein: Wenn jemand es stiehlt: Möge er sterben [den Tod], möge er in einer Pfanne geröstet werden, möge die fallende Krankheit [d.h. Epilepsie] und Fieber ihn angreifen, und möge er auf dem Rad gedreht und gehängt werden. Amen. (Liber sancte Marie sancti que Nycolai in Arrinstein Quem si quis abstulerit Morte moriatur in sartagine coquatur caducus morbus instet eum et febres · et rotatur et suspendatur Amen)
So grausam diese Strafen auch erscheinen mögen, waren für die meisten mittelalterlichen Leser die schlimmsten Flüche die, die das ewige Schicksal ihrer Seelen, statt ihre körperliche Gesundheit gefährdeten. Eine geistliche Verdammnis wurde oft mit dem griechischen ‚Anathema‘ ausgedrückt, manchmal gefolgt von der aramäischen Formel ‚Maranatha‘ (‚Komm, Herr!‘). Beide Begriffe wurden in einem Fluch verwendet, der einem Manuskript mit geistlichen Briefen und Predigten aus der Abtei Lesnes hinzugefügt wurde:
Dieses Buch gehört zur Kirche des heiligen Thomas des Märtyrers von Lesnes. Wer es entfernt oder ihm Schaden zufügt: Wenn dieselbe Person der Kirche nicht hinreichend Wiedergutmachung leistet, möge sie verflucht sein [Anathema Maranatha]. Es sei getan. Es sei getan. Amen.
(Hic liber est ecclessiae beati Thome martyris de Liesnes. Quem qui ei abstulerit . aut illi super eo fraudem fecerit . nisi eidem ecclesie plene satisfecerit ; anathema sit maranatha. fiat. fiat. Amen.)
Die Verwendung dieser Buchflüche scheint im Widerspruch zum Lebensstil eines Klosters zu stehen. Mittelalterliche Mönche widmeten ihr Leben der Nachahmung Christi, einschließlich seiner Tugenden wie Geduld, Vergebung und Liebe zur Menschheit. Die Tatsache, dass dieselbe Mönche diese Flüche anwendeten, zeugt von dem enormen materiellen und geistlichen Wert, den sie ihren Bibliotheken beimessen: Ihre Bücher waren nicht nur äußerst kostspielig und arbeitsintensiv in der Herstellung, sondern enthielten oft auch die einzigen Exemplare eines bestimmten Werkes, auf die ihre Gemeinschaften zugreifen konnten (alle drei die lesen konnten). Der Verlust eines Buches bedeutete nicht nur materiellen Schaden, sondern konnte eine religiöse Gemeinschaft auch dauerhaft des Wissens berauben, das für die Bewahrung oder Entwicklung ihrer religiösen Identität von wesentlicher Bedeutung war. Dies könnte erklären, warum einige religiöse Gemeinschaften große Anstrengungen unternahmen, ihre Bücher zu schützen. Buchflüche waren eine radikale, aber effektive Methode, um ihre Bestände zu bewahren.